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Landgericht Hanau – Urteil vom 11.03.2025 – Az. 10 1185/24

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    Landgericht Hanau

    Zivilkammer
    Aktenzeichen:

    10 1185/24

    Im Namen des Volkes
    Urteil

    In dem Rechtsstreit

    – Kläger –

    Prozessbevollmächtigter:

    Rechtsanwalt Simon Bender, Hohemarkstraße 20, 61440 Oberursel

    Geschäftszeichen
    gegen

    – Beklagte –

    Prozessbevollmächtigte:

    hat das Landgericht Hanau — 1. Zivilkammer — durch die Richterin am Landgericht             als Einzelrichterin auf die mündliche Verhandlung vom 21.01.2025 für Recht erkannt:

    1. Es wird festgestellt, dass sich der zwischen dem Kläger und der Beklagten über den Erwerb eines PKW der Marke abgeschlossene Kaufvertrag vom 09.02.2024 durch den mit Schreiben vom 22.08.2024 erklärten Rücktritt in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis umgewandelt hat, aus dem der Kläger nichts mehr schuldet.
    1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 1.249,20 nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.10.2024 zu zahlen.
    2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
    3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
    4. Der Streitwert wird auf 56.069,99 EUR festgesetzt.

    Tatbestand:

    Die Parteien streiten um den Bestand eines Kaufvertrages.

    Der Kläger kaufte am 09.02.2024 in den                           Geschäftsräumen der Beklagten einen Neuwagen der Marke

    Zulassungskosten/Überführungskosten, sowie Allwetterreifen für einen Kaufpreis von 56.069,99 EUR unter Inzahlunggabe seines Altfahrzeuges zu einem Preis von 11.820,00 EUR. Im Kaufvertrag sind die Allwetterreifen mit einem Preis i.H.v. EUR 1.400,00 brutto incl. Montage ausgewiesen. Als unverbindlicher Liefertermin wurde im Kaufvertrag „06/2024″ angegeben. Der Kläger unterschrieb eine ihm vorgelegte „Verbindliche Bestellung“ und einen Ankaufsschein über sein altes Fahrzeug (K1). In den Neuwagen-Vertragsbedingungen zum Kaufvertrag (im Folgenden NWVB) der Beklagten vom 09.02.2024 heißt es unter „IV. Lieferung und Lieferverzug“ (auszugsweise):

    „…2. Der Käufer kann sechs Wochen nach Überschreiten eines unverbindlichen Liefertermins oder einer unverbindlichen Lieferfrist den Verkäufer auffordern zu liefern. Diese Frist verkürzt sich auf 10 Tage (bei Nutzfahrzeugen auf zwei Wochen) bei Fahrzeugen die beim Verkäufer vorhanden sind. Mit dem Zugang der Aufforderung kommt der Verkäufer in Verzug.

    Hat der Käufer Anspruch auf Ersatz eines Verzugsschadens, beschränkt sich dieser bei leichter Fahrlässigkeit des Verkäufers auf höchstens 5 % des vereinbarten Kaufpreises.

    1. Will der Käufer darüber hinaus vom Vertrag zurücktreten und/oder Schadensersatz statt der Leistung verlangen, muss er dem Verkäufer nach Ablauf der betreffenden Frist gemäß Ziffer 2, Satz 1 oder 2 dieses Abschnitts eine angemessene Frist zur Lieferung setzen….“

    Am 12.02.2023 erschien der Kläger persönlich im Autohaus und teilte mit, dass er sich über den Reifenpreis getäuscht fühle und forderte die Auflösung des Vertrages. Die Beklagte lehnte über ihren Mitarbeiter, den Zeugen                         die Auflösung des Vertrages ab, erklärte sich allerdings bereit, die Reifen aus dem Kaufvertrag herauszunehmen. Er strich den Reifenpreis handschriftlich heraus und unterschrieb an dieser Stelle mit dem Zusatz „kein Reifenkauf‘, vgl. Anlage K11.

    Zwischen Vertragsabschluss und dem 17.07.2024 verkaufte der Kläger sein bei der Beklagten in Zahlung gegebenes Fahrzeug privat anderweitig.

    Nach Ablauf der vereinbarten unverbindlichen Lieferfrist erkundigte sich der Kläger am 17.07.2024 persönlich bei der Beklagten vor Ort, wann die Auslieferung des Fahrzeuges erfolgen werde und unterrichtete Herrn                           über den erfolgten Verkauf seines alten Fahrzeuges. Mit E-Mail vom 18.07.2024 sandte der Kläger eine Mahnung wegen Lieferverzugs an die Beklagte, Anlage K2. Mit anwaltlichem Schreiben vom 31.07.2024 erklärte der Kläger die Anfechtung des Kaufvertrags vom 09.02.2024 wegen arglistiger Täuschung über den Liefertermin des Fahrzeuges,

    Anlage K5. Am 21.08.2024 erschien der Kläger erneut bei der Beklagten und erkundigte sich bei Herrn                     nach dem Termin zur Fahrzeuglieferung, welcher nunmehr als unverbindlichen Liefertermin den 15.10.2024 angab. Vorsorglich für den Fall, dass der Vertrag nicht bereits wegen der erklärten Anfechtung nichtig sein sollte, forderte der Kläger die Beklagte mit weiterem anwaltlichem Schreiben vom 22.08.2024 noch einmal zur Lieferung des Fahrzeuges bis zum 06.09.2024 auf und erklärte für den Fall, dass bis zu diesem Datum keine Lieferung erfolgt sein sollte, den Rücktritt vom Kaufvertrag wegen Lieferverzuges, Anlage K6. Mit gleichem Schreiben forderte der Kläger im Falle des Rücktritts die Beklagte bis zum 13.09.2024 auf, zu bestätigen, dass der Kläger keine vertraglichen Zahlungen aus dem Vertrag mehr schulde, weder aktuell noch zukünftig.

    Mit Schreiben vom 05.09.2024 lehnte die Beklagte eine Rückabwicklung ab. Mit Schreiben vom 15.10.2024 forderte die Beklagte den Kläger zur Abholung des Fahrzeugs auf, Anlage B4. Der Kläger holte das Fahrzeug nicht ab. Es befindet sich bis heute bei der Beklagten.

    Hinsichtlich der mit dem Antrag zu 2) begehrten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ermächtigte die                                            –                                           den Kläger, den durch Zahlung auf sie übergegangenen Anspruch im eigenen Namen geltend zu machen.

    Die Klageschrift vom 02.10.2024 nebst Anlagen wurde der Beklagten am 29.10.2024 zugestellt.

    Der Kläger behauptet, die Beklagte habe ihm einen Nachlass von 2% auf den Kaufpreis mündlich zugesichert, die sich so nicht im Kaufvertrag wiedergefunden hätten. Herr       hätte im Rahmen des Verkaufsgesprächs betont, dass der Kläger den Kaufvertrag sofort unterschreiben müsse, damit die Lieferung noch im Juni 2024 erfolgen könne. Diesen Termin habe er ausdrücklich zugesichert. Darüber hinaus hätten die Mitarbeiter der Beklagten für eine sofortige Unterschrift einen weiteren Nachlass i.H.v. 250,00 EUR gewährt, der nicht im Kaufvertrag angegeben worden sei. Des Weiteren hätte Herr                  geäußert, dass er sein  altes Fahrzeug auch privat verkaufen könne. Die Allwetterreifen habe der Kläger im Internet zu einem Preis von nur EUR 115,03 pro Reifen gefunden. Weiter behauptet der Kläger, Herr     hätte im Rahmen des Gesprächs am 17.07.2024 mittgeteilt, dass der am 09.02.2024 eingegebene Auftrag im      noch nicht bearbeitet worden wäre. Der Kläger behauptet zudem, dass er sich bei anderen Filialen der Beklagten über die Lieferzeit des bestellten Fahrzeugmodells erkundigt habe. Er habe erfahren, dass die Lieferzeit zum Zeitpunkt der Bestellung des Fahrzeuges Anfang 2024 bereits über sechs Monate betragen habe.

    Der Kläger beantragt,

    1. festzustellen, dass sich der zwischen dem Kläger und der Beklagten über den Erwerb eines PKW der Marke         abgeschlossene Kaufvertrag vom 09.02.2024 durch die mit Schreiben vom 31.07.2024 erklärte Anfechtung, hilfsweise durch den mit Schreiben vom 22.08.2024 erklärten Rücktritt in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis umgewandelt hat, aus dem der Kläger nichts mehr schuldet.
    1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 1.249,20 zzgl. Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

    Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

    Die Beklagte ist der Ansicht, dass sich der Kläger widersprüchlich verhalte, wenn er einerseits die Anfechtung des Vertrags erkläre und andererseits gleichzeitig zur Lieferung auffordere und anschließend den Rücktritt vom Kaufvertrag erkläre. Weiter ist sie der Ansicht, sie hätte die Lieferverzögerung jedenfalls nicht zu verschulden. Diese beruhe auf der geänderten Liefersituation sowohl aufgrund der Corona Pandemie als auch der weltweit gesamtwirtschaftlichen Lage auf dem Kfz-Markt. Im Übrigen sei eine Nachfrist von zwei Wochen zu kurz bemessen. Eine angemessene Nachfrist von zwei Monaten habe sie durch Lieferung zum 15.10.2025 eingehalten.

    Das Gericht hat den Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung persönlich angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen        und  Inaugenscheinnahme des Originals des Ankaufscheins vom 09.02.2024. Wegen der Ausführungen des Klägers und dem Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.01.2025 verwiesen.

    Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteivertreter nebst Anlagen verwiesen.

    Entscheidungsgründe:

    Die zulässige Klage ist begründet.

    A. Das angerufene Gericht ist gemäß § 29 Abs. 1 ZPO als Gericht an dem Ort, an dem sich die zurückzugewährende Sache vertragsgemäß befindet, örtlich zuständig. Die sachliche Zuständigkeit des Gerichts folgt aus §§ 1 ZPO, 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG.

    Im Übrigen verstößt der Kläger dadurch, dass er bei gleich bleibendem Sachvortrag neben der in erster Linie geltend gemachten Begründung (Anfechtung) eine weitere zur Stützung seines Begehrens bemüht hat (Rücktritt), nicht gegen das in § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO verankerte Bestimmtheitsgebot einer Klage. Dieses gilt für den Antrag und den Lebenssachverhalt, nicht aber für die rechtliche Begründung, die allein Aufgabe des Gerichts ist.

    B. Die Klage ist begründet.

    Der Kläger hat einen Anspruch darauf, festgestellt zu wissen, dass sich der Kaufvertrag in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt hat, aus dem er nichts mehr schuldet.

    1. Der Kläger hat sich am 09.02.2024 mit der Beklagten, vertreten durch ihre Mitarbeiter, die Zeugen Herrn            über den Kauf eines Neuwagens der Marke inklusive Zulassungskosten/Überführungskosten, sowie Allwetterreifen für einen Kaufpreis von 56.069,99 EUR und Inzahlunggabe des Altfahrzeuges des Klägers zu einem Preis von 11.820,00 EUR geeinigt. Dies stellt einen einheitlichen Kaufvertrag nach § 433 Abs. 1 BGB samt einer Ersetzungsbefugnis im Hinblick auf das angekaufte Altfahrzeug dar (BGH NJW 1984, 429 (429 f.); NJW 2008, 2028 (2029)). Nach Inaugenscheinnahme des Ankaufsscheins in der mündlichen Verhandlung vom 21.01.2025 war unstreitig, dass der Kläger diesen unterzeichnet hat.

    2. Zwar hat der Kläger nach Überzeugung des Gerichts den Vertrag nicht wirksam angefochten.

    a) Der Kläger hat mit Schreiben vom 31.07.2024 die Anfechtung des Kaufvertrages erklärt mit der Behauptung, dass die Vertragsunterschrift täuschungsbedingt erfolgte sei.

    b) Ein Anfechtungsgrund liegt jedoch nicht vor. Nach § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB kann die Erklärung anfechten, wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung bestimmt worden ist. Eine Täuschung liegt nur dann vor, wenn der Täuschende durch sein Verhalten beim Erklärungsgegner vorsätzlich einen Irrtum erwecken oder aufrechterhalten möchte. Dies setzt voraus, dass der Täuschende die Unrichtigkeit der falschen Angaben kennt und zugleich das Bewusstsein und den Willen hat, durch die irreführenden Angaben (oder die Unterlassung der gebotenen Aufklärung über die wahre Sachlage) einen Irrtum zu erregen (oder aufrecht zu erhalten) und den Getäuschten damit zu einer Willenserklärung zu motivieren, die jener sonst nicht oder mit anderem Inhalt abgegeben hätte (MüKoBGB/Armbrüster, 10. Aufl. 2025, BGB § 123 Rn. 14, beck-online).

    Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe wurde der Kläger nicht durch die Beklagte, vertreten durch ihre Mitarbeiter, über den Lieferzeitpunkt arglistig getäuscht. Als derjenige, der sich auf eine ihm günstige Behauptung beruft, trägt der Kläger nach den allgemeinen Regeln die Beweislast. Aufgrund der Beweisaufnahme und der persönlichen Anhörung des Klägers vermochte das Gericht im Rahmen der ihm nach § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO zustehenden freien Beweiswürdigung nicht zu der Überzeugung zu gelangen, dass die streitige Behauptung als bewiesen anzusehen ist. Danach ist ein Beweis erst dann erbracht, wenn das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme und der sonstigen Wahrnehmungen in der mündlichen Verhandlung von der Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung überzeugt ist und alle vernünftigen Zweifel ausgeräumt sind. Dies ist vorliegend aber nicht der Fall.

    aa) Der Antrag des Klägers, als beweispflichtige Partei gem. § 447 ZPO vernommen zu werden, war zurückzuweisen, da die Beklagte damit nicht einverstanden war, vgl. Schriftsatz vom 03.12.2024.

    bb) Zwar erklärte der Kläger — informatorisch gem. § 141 Abs. 1 S. 1 ZPO angehört — die Beklagte habe über ihre Mitarbeiter wahrheitswidrig angegeben, das Fahrzeug könne im Juni 2024 geliefert werden, wenn er noch am gleichen Tag den Kaufvertrag unterschreibe trotz des Wissens, dass eine Fahrzeug-Lieferung bis Juni 2024 nicht möglich gewesen sei. Er selbst hätte nicht auf ein konkretes Lieferdatum gepocht. Allerdings habe er in anderen Filialen des vor dem Kaufvertragsschluss am 09.02.2024 für die Konfiguration des streitgegenständlichen Fahrzeugs jeweils eine Lieferfrist von mindestens 6 Monaten genannt bekommen. Hätte der Kläger gewusst, dass keine Lieferung im Juni 2024 erfolgt, sondern erst zwei Monate später, hätte er den Vertrag nicht geschlossen.

    cc) Dies steht jedoch im Widerspruch zu den Aussagen der Zeugen

    Die Zeugen          haben übereinstimmend ausgeführt, dass sie keine Angaben dazu gemacht hätten, dass eine sofortige Unterschrift Auswirkungen auf die Lieferzeit habe. Die Lieferzeit habe nach deren Erinnerung etwa 4-5 Monate betragen und sei so auch im Vertrag angegeben worden. Die voraussichtliche Lieferzeit werde immer bei der dafür zuständigen Abteilung „Disposition“ abgefragt und entsprechend der Abfrage im Kaufvertrag angegeben. So wäre es auch vorliegend geschehen. Sie hätten dem Kläger gerade nicht verbindlich die Lieferung im Juni zugesichert, sondern ein unverbindliches Lieferdatum vereinbart. Eine Unterschrift noch am 09.02.2024 sei auf Initiative des Klägers erfolgt, um einen Nachlass zu erhalten.

    Die positiv ergiebigen Aussagen der Zeugen sind glaubhaft. Es entspricht der üblichen Praxis, bei größeren Autohäusern einzelne Arbeitsschritte verschiedenen Abteilungen zuzuweisen. So ist nachvollziehbar, dass die im Verkauf eingesetzten Mitarbeiter die Lieferfristen bei einer dafür zuständigen Abteilung anfragen und entsprechend an den Kunden weitergeben. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Zeugen eine andere, als ihnen mitgeteilte Lieferfrist an den Kläger mitteilten. Für die Glaubhaftigkeit der Aussage spricht auch, dass sich die Aussagen decken und jeder erlebnisbasiert von den Gesprächen mit dem Kläger berichtete.

    cc) Die Ausführungen des Klägers im Rahmen der persönlichen Anhörung sind als Streit- und nicht als Beweisstoff zu werten. Das Gericht ist nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO aber gehalten, im Rahmen der Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme bei der Bildung seiner Überzeugung auch die Parteierklärung, auch wenn sie außerhalb einer förmlichen Parteivernehmung erfolgt, zu berücksichtigen. Dies gebietet insbesondere in Vier-Augen-Situationen der Grundsatz der Waffengleichheit sowie der Anspruch der Parteien auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes und rechtliches Gehör aus Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1, 20 Abs. 3, 103 Abs. 3 GG. Das Gericht vermochte nicht zu entscheiden, welche der sich widersprechenden Vorbringen zutrifft. Beide sind gleichermaßen lebensnah. Die Zeugenaussagen decken sich mit dem Vortrag der Beklagten, die die Zeugen benannt hat. Objektive Kriterien, an denen der Wahrheitsgehalt der Zeugenaussagen und der Bekundungen des Klägers gemessen werden könnten, bestehen nicht. Der Vorfall kann sich ebenso gut so zugetragen haben, wie ihn die Zeugen           oder wie ihn der Kläger selbst geschildert hat. Bei den Zeugen und dem Kläger waren die Wahrnehmungsbereitschaft, -fähigkeit und Wahrnehmungsmöglichkeit in gleichem Maße gegeben. Das Gericht sieht sich auch außerstande, den Kläger gegenüber den beiden Zeugen für glaubwürdiger zu erachten.

    3. Demgegenüber ist der Kläger durch seine Rücktrittserklärung im Schreiben vom 22.8.2024 wirksam vom Vertrag nach Fristablauf am 07.09.2024 zurückgetreten.

    a) Entgegen der Ansicht der Beklagten steht einem wirksamen Rücktritt nicht entgegen, dass der Kläger den Kaufvertrag (vergeblich) angefochten hat. Neben dem Anfechtungsrecht gern §§ 123, 124 kann auch ein Rücktrittsrecht bestehen. Anfechtung und Rücktritt können zugleich erklärt werden, wobei allerdings wegen der stärkeren, das Schuldverhältnis vernichtenden Wirkung der Anfechtung über diese vorrangig zu entscheiden ist. Auf die Rücktrittserklärung kommt es daher nur dann an, wenn die Anfechtung nicht durchdringt (vgl. Vgl. RG JW 1936,1125; Büchler JuS 2009, 976 (979f.); MüKoBGB/Armbrüster, 10. Aufl. 2025, BGB § 123 Rn. 100, beck-online m.w.N.). Auch dass der Rücktritt hilfsweise, unter der Bedingung des Nichtvorleigens einer wirksamen Anfechtung, erklärt wurde, ist unschädlich. Diese sogenannte echte Hilfsbegründung ist als Ausnahme von der grundsätzlichen Bedingungsfeindlichkeit zulässig, weil es sich bei der Bedingung um ein innerprozessuales Ereignis, nämlich die Unwirksamkeit der Anfechtung, handelt.

    b) Des Weiteren kann entgegen der Ansicht der Beklagten das Rücktrittsrecht nicht erst ausgeübt werden, wenn die Nachfrist fruchtlos abgelaufen ist. Nichts spricht dagegen, dass der Gläubiger die Erklärung des Rücktritts bereits bei der Setzung der Nachfrist für den Fall abgibt, dass die Nachfrist fruchtlos ablaufen sollte (zulässige Potestativbedingung; vgl. MüKoBGB/Ernst, 9. Aufl. 2022, BGB § 323 Rn. 154, beck-online m.w.N.).

    c) Mit dem Schreiben vom 22.08.2024 liegt eine Rücktrittserklärung des Klägers an die Beklagte nach § 349 BGB vor.

    d) Dem Kläger stand nach § 346 Abs. 1 BGB iVm Abschnitt IV. Nr. 3 der NWVB des Kaufvertrages auch ein vertragliches Rücktrittsrecht zu.

    aa) Die NWVB sind als Allgemeine Geschäftsbedingungen nach § 305 Abs. 1 BGB Vertragsbestandteil geworden. Sie wurden von der Beklagten bei Abschluss des Vertrages gestellt und werden von ihr für eine Vielzahl von Verträgen verwendet. Die NWVB lagen dem ausgehändigten Vertragstext bei und wurden so auch von der Beklagten bei Vertragsschluss nach § 305 Abs. 1 Nr. 2 BGB wirksam einbezogen.

    bb) Die vertragsgemäße Frist zur berechtigten Aufforderung der Lieferung war zum Zeitpunkt des Ausspruchs des Kündigungsschreibens am 22.08.2024 abgelaufen. Bei Vereinbarung der NWVB kann der Käufer erst nach sechs Wochen nach Überschreiten eines unverbindlichen Liefertermins den Verkäufer auffordern, zu liefern (IV. 2. NWVB). Teilweise wird die Klausel in der Literatur bereits für unwirksam gehalten. Eine derart lange „Schonfrist“ verstoße gegen § 308 Nr. 1 BGB (BeckOK StVR/Andreae, 26. Ed. 15.1.2025, BGB § 433 Rn. 12, beck-online; ebenso Reinking/Eggert Autokauf Rn. 65 ff.) und sei unwirksam (aA noch BGH NJW 1982, 331). Dies kann vorliegend jedoch dahinstehen, da bei Angabe des unverbindlichen Liefertermins für Juni 2024 eine Frist von sechs Wochen zum Zeitpunkt des Rücktrittsschreibens vom 22.08.2024 bereits verstrichen war.

    cc) Entgegen der Ansicht der Beklagten hat der Kläger der Beklagten mit Nachfristsetzung von zwei Wochen eine angemessene Nachfrist gesetzt. Um zurücktreten zu können, muss für die Lieferung eine „angemessene“ Frist nach IV.3. NWVB gesetzt werden, die mit der Aufforderung zur Lieferung verbunden werden kann. Die Angemessenheit bestimmt im Streitfall das Gericht (§ 242 BGB) nach objektiven Maßstäben (BGH NJW 1985, 2641) bzw. nach Vereinbarung der Parteien (BGH NJW 2016, 3654). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Nachfrist dem Schuldner die Leistung nicht erst ermöglichen, sondern ihm eine letzte Gelegenheit geben soll, die in die Wege geleitete (vorbereitete) Erfüllung zu vollenden (BGH NJW 1985, 2640 mN); die Nachfrist ist keine „Ersatzleistungsfrist“ (BGH NJW 1985, 857; s. OLG Karlsruhe NJW-RR 2012, 504 [„bereits in Angriff genommene Leistung“ muss vollendet werden können]; OLG Köln NJW-RR 2018, 1141; im VW-Dieselskandal muss Frist Rücksprache des Verkäufers mit dem Hersteller ermöglichen OLG Köln NJW-RR 2018, 373; Jauernig/Stadler, 19. Aufl. 2023, BGB § 323 Rn. 8, beck-online). Dem Schuldner sind deshalb außerordentliche Anstrengungen zuzumuten, so dass es auch nicht ausreichend ist, wenn er sich auf die Verzögerung oder Nichtleistung eines Lieferanten beruft (BGH NJW 1973, 456; 1982, 1279 (1280); NJW 1985, 320). Eine verzögerte oder ausbleibende Leistung eines Lieferanten fällt vielmehr in die Risikosphäre des Schuldners und ist von diesem bei der Vereinbarung der Leistungszeit einzukalkulieren. Für die Bemessung der Nachfrist ist auch zu beachten, wie lange die Fälligkeit der Leistung bereits zurückliegt und ob sich der Schuldner sogar bereits in Verzug befindet (BGH NJW 1982, 1279 (1280)). Bei der Angemessenheit handelt es sich im Übrigen um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Konkretisierung nach den Umständen des Einzelfalls zu erfolgen hat. Auf der einen Seite ist das Interesse des Schuldners zu beachten, eine zweite Gelegenheit zu erhalten, um die Geltendmachung von Sekundärrechten durch den Gläubiger zu vermeiden. Dabei kommt es auch darauf an, ob der Schuldner die Pflichtverletzung zu vertreten hat. Auf der anderen Seite muss das Interesse des Gläubigers gewürdigt werden, die (mangelfreie) Leistung möglichst pünktlich zu erhalten. Ein besonderes Interesse des Gläubigers an der Pünktlichkeit der Leistung muss daher bei der Bemessung der „angemessenen“ Frist berücksichtigt werden (BeckOGK/Looschelders, 1.2.2025, BGB § 323 Rn. 162, beck-online). Als „angemessen“ werden je nach den Umständen des Einzelfalls 2 Tage (OLG Karlsruhe NJW-RR 2012, 504) bis höchstens 14 Tage (Reinking/Eggert Autokauf Rn. 104) angesehen (vgl. BeckOK StVR/Andreae, 26. Ed. 15.1.2025, BGB § 433 Rn. 12, beck-online).

    Unter Zugrundelegung der vorgenannten Maßstäbe und unter Abwägung der Interessen der Parteien hält das Gericht die Nachfrist von zwei Wochen als erforderlich, aber ausreichend und angemessen, der Beklagten die Möglichkeit zu geben, Rücksprache mit ihrem Hersteller zu halten. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass bereits zuvor die sechs Wochen Nachfrist bis zur Aufforderung der Lieferung aus den AGB abgelaufen waren und die Nachfrist von zwei Wochen zusätzlich hinzukommt. Das Interesse des Klägers an einer pünktlichen Lieferung hat er der Beklagten gegenüber hinreichend deutlich bekannt, in dem er sich immer wieder persönlich bei der Beklagten nach dem Liefertermin erkundigte. Das Argument der Beklagten, die Lieferverzögerung beruhe auf der geänderten Liefersituation sowohl aufgrund der Corona Pandemie als auch durch die weltweit gesamtwirtschaftliche Lage auf dem weltweiten Kfz-Markt, überzeugt nicht. Zum einen war es Aufgabe der Beklagten, einen realistischen Liefertermin als unverbindliches Lieferdatum anzugeben und bereits in diesem Schritt die Corona Situation — die im Übrigen bereits Jahre zurückliegt — und die gesamtwirtschaftliche Lage des Kfz-Marktes zu berücksichtigen. Die Organisation und Absprache mit dem Hersteller zur Herstellungszeit obliegt allein der Beklagten und findet sich in ihrer Risikosphäre. Darauf hat der Käufer keinerlei Einfluss. Der Käufer hat demgegenüber ein schutzwürdiges Interesse daran, dass auch ein unverbindlicher Liefertermin nicht gänzlich ins Blaue hinein abgegeben wird bzw. sich im Nachhinein eine Lieferung um Monate verzögert. Insoweit stellt es einen angemessenen Ausgleich beider Interessen dar, dem unverbindlichen Liefertermin eine Frist der AGB von sechs Wochen und eine anschließende Nachfrist von zwei Wochen zu gewähren, um so unvorhersehbaren Produktionsabläufen entgegenzuwirken. Soweit die Beklagte sich darauf beruft, dass sie ebenfalls von den Herstellerangaben abhängig sei, wird sie dazu verpflichtet sein, sich mit den Herstellern besser abzusprechen und die Produktionsabläufe zu verbessern. Dies kann jedenfalls nicht zu Lasten des Klägers gehen.

    Im Übrigen soll nicht unerwähnt bleiben, dass gerade das Argument der Beklagten, namentlich das wirtschaftliche System in der Automobilbranche, in der Literatur argumentativ zugunsten der Käuferinnen und Käufer eingesetzt wird: Zum einen reduziert sich im modularen Fahrzeugbau (sog. Fahrzeugplattformen, bei denen auf einer Grundkonstruktion verschiedene Modelle hergestellt werden) die Produktionszeit extrem. Zum anderen ist angesichts der edv-basierten Warenwirtschafts- und Vertriebssysteme die Produktionszeit auch problemlos überschaubar (vgl. Bachmeier Autokauf-HdB/VVerner Bachmeier, 2. Aufl. 2013, § 286 ZPO Rn. 396, beck-online). Es ist weder ersichtlich, noch vorgetragen, warum die Beklagte den unverbindlichen Liefertermin nicht den Tatsachen entsprechend angegeben hat.

    dd) Letztlich käme das Gericht auch nicht zu einem anderen Ergebnis, wenn im konkreten Fall die Frist als zu kurz bemessen gelte. Eine zu kurz bemessene Nachfrist ist nicht wirkungslos, sondern setzt eine angemessene Frist in Lauf (BGH NJW 1985, 2640; NJW 1996, 1814; OLG Köln NJW-RR 2018, 1141; Jauernig/Stadler, 19. Aufl. 2023, BGB § 323 Rn. 8, beck-online). Bis zur angebotenen Abnahme des Fahrzeugs ergingen seit der Nachristsetzung über sieben Wochen. Selbst bei einer Nachristsetzung von sechs Wochen, die allemal als angemessen gelten dürfte, wäre das Fahrzeug nicht geliefert worden.

    ee) Die Beklagte hat die verzögerte Lieferung zu vertreten. Gern. IV Nr. 6 der NWVB verlängern höhere Gewalt oder beim Verkäufer oder dessen Lieferanten eintretende Betriebsstörungen, die den Verkäufer ohne eigenes Verschulden vorübergehend daran hindern, den Kaufgegenstand zum vereinbarten Termin oder innerhalb der vereinbarten Frist zu liefern, die in Ziffern 1 bis 4 dieses Abschnitts genannten Termine und Fristen um die Dauer der durch diese Umstände bedingten Leistungsstörungen. Allerdings hat die Beklagte keine konkreten Umstände vorgetragen, die eine solche Verlängerung rechtfertigen könnten. Allein der Verweis auf eine verzögerte Lieferung durch den Hersteller reicht jedenfalls nicht aus.

    e) Aufgrund des rückabzuwickelnden Kaufvertrags wurden noch keine Leistungen erbracht, mithin schuldet der Kläger der Beklagten nach § 346 Abs. 1 BGB auch nichts aus dem entstandenen Rückgewährschuldverhältnis. Dies gilt insbesondere für den von der Beklagten in Zahlung genommenen Gebrauchtwagen des Klägers. Es kann dahinstehen, ob er berechtigt war, diesen anderweitig zu verkaufen, da sich das Rückgewährschuldverhältnis auch auf diesen Teil erstreckt und die Beklagte eine Übergabe des gebrauchten Pkw nicht mehr verlangen kann.

    II. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs.1 BGB, Abschnitt IV Nr. 2 der NWVB zu dem Kaufvertrag vom 09.02.2024 i.V.m. § 86 Abs. 1 VVG und der Ermächtigung der entsprechend § 185 Abs. 1 BGB auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.249,20 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5%-Punkte über dem Basiszinssatz seit dem 30.10.2024.

    III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1 ZPO.

    IV. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 3 ZPO i.V.m. § 48 Abs. 1 GKG.

    Rechtsbehelfsbelehrung

    Diese Entscheidung kann hinsichtlich der Wertfestsetzung mit der Beschwerde angefochten werden. Sie ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache rechtskräftig geworden ist oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Landgericht Hanau, Nußallee 17, 63450 Hanau, eingeht. Wird der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt, kann die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung der Festsetzung bei dem Gericht eingelegt werden.

    Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,00 EUR übersteigt oder das Gericht die Beschwerde in diesem Beschluss zugelassen hat. Beschwerdeberechtigt ist, wer durch diese Entscheidung in seinen Rechten beeinträchtigt ist.

    Seite 9/10 Die Beschwerde wird durch Einreichung einer Beschwerdeschrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des genannten Gerichts eingelegt. Sie kann auch zur Niederschrift der Geschäftsstelle eines jeden Amtsgerichts erklärt werden, wobei es für die Einhaltung der Frist auf den Eingang bei dem genannten Gericht ankommt. Sie ist zu unterzeichnen. Die Einlegung kann auch mittels elektronischen Dokuments erfolgen. Informationen zu den weiteren Voraussetzungen zur Signatur und Übermittlung sind auf dem Justizportal des Bundes und der Länder (www.justiz.de) im Themenbereich zur elektronischen Kommunikation zu finden. Eine Einlegung per einfacher E-Mail ist unzulässig. Rechtsanwältinnen, Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse sind zur Einlegung mittels elektronischen Dokuments verpflichtet.

    Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Soll die Entscheidung nur zum Teil angefochten werden, so ist der Umfang der Anfechtung zu bezeichnen.

    Richterin am Landgericht

     

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